Wie sieht das Leben von Kühen und Kälbern in der Milchindustrie aus? Was erleiden sie für Milchprodukte? Wir gehen diesen Fragen auf den Grund und haben eine ganz einfache Lösung: Probier’s vegan!
Die guten Nachrichten zuerst: Die Deutschen konsumieren immer weniger tierische Produkte wie Milch, Butter oder Käse.1 Der Markt für vegane Alternativen hingegen wächst: der Absatz von Pflanzenmilch um ganze 85 Prozent innerhalb der letzten drei Jahre.2
Gründe dafür, zu pflanzlichen Alternativen zu greifen, gibt es genug – neben der Umwelt vor allem der Schutz der Tiere. Denn die idyllischen Bilder grasender Kühe, die Milchpackungen oder Joghurtbecher zieren, halten einem Realitätscheck nicht stand. Wir werfen einen Blick hinter diese Fassade und in das (Gefühls-)Leben von Kühen und Kälbern in der Milchindustrie.
Rinder sind gefühlvolle Persönlichkeiten
Jedes Tier hat – wie wir Menschen auch – eine ganz eigene Persönlichkeit: Manche Rinder sind verspielt, neugierig und extrovertiert, während andere ruhiger und zurückhaltender sind.
Ihre Gefühle drücken Rinder sehr eindeutig aus: Sie springen zum Beispiel buchstäblich vor Freude in die Luft, wenn sie einen Grund dazu haben. Auch negative Gefühle wie Wut, Trauer oder Angst zeigen sie unmissverständlich. Außerdem sind sie empathisch: Sie erkennen die Emotionen von anderen und lassen sich davon anstecken.3
Rinder sind soziale Tiere
Rinder sind äußert soziale Tiere und pflegen enge und langjährige Freundschaften zu Herden- und Familienmitgliedern. Sie betreiben gegenseitige Fell- und Körperpflege, grasen gemeinsam, teilen ihr Futter, interagieren miteinander – und lernen voneinander.3
Die engste und stärkste Bindung besteht dabei zwischen einem Kälbchen und seiner Mutter. Für die Geburt zieht sich die Kuh normalerweise von der Herde zurück. Erst nach ein paar Tagen, wenn die beiden bereit sind, kehrt die Mutter mit ihrem kleinen Kalb zu den anderen Tieren zurück. Bis zu einem Jahr versorgt sie ihren Nachwuchs mit ihrer Milch und bleibt an seiner Seite. Die Verbindung zwischen ihnen besteht ein Leben lang.
Die Milchindustrie nimmt auf die emotionalen und sozialen Bedürfnisse der Tiere keine Rücksicht.
Dieser Artikel enthält Bilder und Beschreibungen von den Leiden, die die Tiere in der industriellen Landwirtschaft erdulden müssen. Denn wir denken, dass sich jede:r darüber bewusst sein sollte, was Tiere für unseren Konsum ertragen müssen. Scrolle bis zum Ende, wenn du das nicht lesen möchtest.
Milchproduktion: Wie wird Kuhmilch hergestellt?
Wie wir Menschen und alle weiblichen Säugetiere produziert auch eine Kuh nur Milch, um das Kälbchen, das in ihrem Bauch heranwächst, zu ernähren. Kühe müssen also fortlaufend und unter Zwang künstlich besamt werden. Ihre Milch bleibt ihren Kälbchen verwehrt, damit wir Menschen daraus Milchprodukte herstellen können.
Den Müttern nimmt man meist innerhalb von 24 Stunden nach der Geburt ihr Neugeborenes weg. Die Milch, die eigentlich für die Kälber bestimmt ist, wird dann von der Lebensmittelindustrie verarbeitet und landet in den Supermärkten: Als Milch, Sahne, Joghurt, Käse oder Eiscreme.
Die Trennung von Mutter und Kalb ist äußerst schmerzlich und traumatisch. Sie rufen tagelang nacheinander, trauern und zeigen deutliche Stresssymptome.3 Nach der Trennung werden die Kälber auf einer Fläche von weniger als zwei Quadratmetern pro Tier isoliert gehalten.4
Das Leben der Kühe in der Milchindustrie
Invasive künstliche Befruchtung, Geburt und Trennung vom Kälbchen – Jahr für Jahr und so lange, bis sie nicht mehr können: Das ist das Leben für Kühe in der Milchindustrie.
Dabei gelangen die Tiere an ihre physischen und psychischen Grenzen: Sie gebären und verlieren ein Kalb nach dem anderen. So produzieren sie in Dauerschleife und unter Hochleistung Milch und werden gemolken, bis sie völlig ausgebrannt sind. Wenn ihre „Produktivität“ nachlässt, sind sie für die Milchindustrie wertlos.
Kühe können zwischen 20 und 25 Jahre alt werden. In der Milchindustrie bemisst sich ihre Lebensdauer jedoch an ihrer „Milchleistung“: Sie werden im Durschnitt mit fünf Jahren geschlachtet.
Was passiert mit den Kälbern?
Weibliche Kälber geraten meist in denselben Kreislauf wie ihre Mütter. Gehören sie einer behornten Rasse an, werden ihnen meist die Hornanlagen – also die Stellen am Kopf, an denen ihre Hörner wachsen würden – ausgebrannt. In Deutschland ist diese äußerst schmerzhafte Methode bis zur sechsten Lebenswoche ohne Betäubung erlaubt.5
Sind sie unfruchtbar, in einem schwächeren Zustand oder gibt es gerade mehr Kälber als die Milchbetriebe brauchen, geht es ihnen wie männlichen Kälbern:
Für die Milchindustrie sind sie sogenannte „Abfallprodukte“. Für die Fleischindustrie gelten sie – im Gegensatz zu Rindern, die eigens für die Mast gezüchtet wurden – als wirtschaftlich kaum rentabel.
Solche Kälber landen deshalb in der sogenannten Schnellmast. Dafür werden sie, nur wenige Wochen alt, häufig auf langen Wegen ins Ausland transportiert. Im Alter von nur 16 Wochen werden sie getötet und als Kalbsfleisch oder Tierfutter verwertet.
Manche von ihnen ereilt ein anderes Schicksal: In Deutschland ist es verboten, Kälber unmittelbar nach der Geburt zu töten. Es gibt aber Schlupflöcher im Gesetz. Geburten müssen Betriebe erst nach sieben Tagen bei den Behörden melden. Fälle, bei denen ein Kalb bei der Geburt oder in seiner ersten Lebenswoche stirbt, werden nicht erfasst.
Es ist nicht selten, dass Kälber in Milchbetrieben nach der Geburt – teils bewusst – nicht adäquat versorgt werden und an den Folgen sterben. Die Kälbersterblichkeit in der Milchindustrie ist also um einiges höher als offiziell angegeben: Tierschutzorganisation gehen von einer Dunkelziffer von bis zu 20 Prozent aus. Jedes fünfte Kalb ist also davon betroffen.6
Du möchtest Kühe und Kälber davor schützen? Dann greif ganz einfach zu Pflanzendrinks wie Sojamilch oder Hafermilch und probiere dich durch vegane Käsealternativen.
Wie werden Kühe gehalten?
Rinder vertreiben sich gerne den Großteil ihrer Zeit mit gemütlicher Futtersuche. Sehen wir Kühe auf Weiden grasen, entsteht schnell der Eindruck, dass Milchbetriebe den Tieren ein gutes Leben ermöglichen.
Tatsächlich haben immer weniger Kühe Weidezugang: in Deutschland nur jede dritte Kuh für durchschnittlich 25 Wochen im Jahr. 87 Prozent der Haltungsplätze in der Milchindustrie sind sogenannte „Laufställe“.7 Dort können die Tiere gerade einmal eine Strecke von 500 bis 700 Meter am Tag zurücklegen. Wenn sie dürften, würden Rinder bis zu 40 Kilometer täglich laufen.8
Leider ist auch eine ganzjährige Anbindehaltung in Deutschland weiterhin erlaubt. Beinahe jeder achte Haltungsplatz (12 Prozent) nutzt das aus:8 In solchen Ställen werden die Tiere bis zu 24 Stunden täglich angebunden. Dabei sind sie am Hals fixiert, sodass sie gerade einmal stehen und sich hinlegen können. Das bedeutet: Keine Bewegung, keine Frischluft, kein Sonnenlicht, keine sozialen Kontakte – ein Leben lang.
Kranke Kühe: Mastitis und Lahmheit
Die Haltungsbedingungen wirken sich natürlich negativ auf die Gesundheit der Tiere aus: Fehlstellungen, Verletzungen, Stoffwechsel- und Verdauungsstörungen sowie psychisches Leid sind die Folge. Kühe sind stark überzüchtet, damit die Milchindustrie Profit erwirtschaften kann: Während eine Kuh um 1900 im Schnitt 2.165 Kilogramm Milch pro Jahr gab, etwa sieben Liter am Tag, sind es mittlerweile rund viermal so viel.9 Täglich werden einer Kuh durchschnittlich 27 Liter Milch genommen.10
Diese extreme Dauerbelastung begünstigt Euterinfektionen, auch Mastitis genannt. Sie ist – neben Lahmheit – eine der häufigsten Krankheiten, unter der Kühe in Milchbetrieben leiden.
Was ist Mastitis?
An Mastitis können alle Säugetiere erkranken – also auch wir Menschen. Es handelt sich um eine ansteckende bakterielle Infektion der Milchdrüse, die schmerzhafte Schwellungen und Entzündungen verursacht. Fieber, Appetitlosigkeit und Abgeschlagenheit sind weitere Symptome der Mastitis. Sie entsteht insbesondere aufgrund mangelnder Hygiene beim Melken und in beengten Ställen.11
Die Milch einer betroffenen Kuh weist eine erhöhte Zahl somatischer, also körpereigener Abwehrzellen auf. Diese Zellen bilden bei bakteriellen Entzündungen zusammen mit weißen Blutkörperchen und den Erregern ein Sekret: Eiter.
Finden sich mehr als 150.000 Zellen in einem Milliliter Rohmilch, deutet das daraufhin, dass das Euter nicht gesund ist.12 Der gesetzliche Grenzwert, ab dem Milchbetriebe nach EU-Verordnung reagieren müssen, liegt bei 400.000 Zellen pro Milliliter. Erst wenn die Zellzahl der produzierten Milch länger als drei Monate über diesem Wert liegt, dürfen Betriebe nicht mehr ausliefern.13 Bis zu diesem Zeitpunkt kommt es für die Betriebe lediglich zu Preisminderungen14 – und für die Konsument:innen zu Eiter in der Kuhmilch.
Woher kommt Lahmheit?
Lahmheit ist in der Milchindustrie weit verbreitet. Die Ursachen sind verschieden: Die Tiere verletzen ihre Klauen oder Beine auf harten oder rutschigen Stallböden, nehmen wegen des Gewichts der übergroßen Euter schaden oder sind überlastet, weil sie sich gar nicht oder nur schlecht hinlegen können. Auch Stoffwechselerkrankungen durch unnatürliche Ernährung können zu Lahmheit führen, zum Beispiel zu Klauenrehe. Leidet ein Rind unter Klauenrehe, ist die Lederhaut entzündet. Sie liegt direkt unter der Hornhaut des Fußes und ist sehr nervenreich. Schmerzen sind dort besonders intensiv.15
Um sich den Schmerz besser vorstellen zu können, zieht John Webster, emeritierter Professor der Universität von Bristol, einen Vergleich: Für ein Rind fühlt sich Klauenrehe ungefähr so an, wie es sich für uns anfühlen würde, wenn unsere Fingernägel in einer Tür zerquetscht würden und wir dann unser Gewicht stundenlang auf diesen Fingerspitzen tragen müssten.16
Wie werden Rinder geschlachtet?
In Deutschland wurden im Jahr 2022 über 1,8 Millionen Kühe und Kälber aus der Milchindustrie geschlachtet.17 Um die Zahl fassbarer zu machen: So viele Menschen leben in Hamburg.
Wenn sie in den Schlachthäusern ankommen, haben die Tiere meist eine kräftezehrende, stundenlange Fahrt hinter sich. Mit Elektroschockern werden sie in Wartebereiche und schließlich in sogenannte „Betäubungsanlagen“ getrieben. Dort werden sie fixiert und entweder unter starken Strom gesetzt oder es wird ihnen ein Bolzen in den Kopf geschossen. Letzteres führt zu einer Gehirnerschütterung, Gehirngewebe und Schädel werden massiv verletzt.
Studien, Untersuchungen und Undercover-Material zeigen, dass diese Methoden nicht immer so funktionieren wie sie sollen. Statistiken gehen davon aus, dass nach dieser Tortur jedes siebte bis elfte Rind noch bei Bewusstsein ist.18
Nach der „Betäubung“ werden die Rinder mit Metallketten an den Hinterbeinen kopfüber aufgehängt. Den Tieren wird die Kehle durchgeschnitten, damit sie ausbluten. Danach werden ihre Köper ausgeweidet und gehäutet.
Auch Kühe, die gerade ein Kälbchen im Leib tragen, sind vor dem Schlachten nicht gefeit. In Deutschland besteht ein Transportverbot erst ab dem siebten Schwangerschaftsmonat. Die Kontrollen sind nicht immer zuverlässig. Wird die Mutter getötet, erstickt das Ungeborene qualvoll.8
Egal, ob sie wegen ihres Fleisches oder ihrer Milch gehalten werden – oder ob sie als Kälbchen bereits mit wenigen Wochen sterben müssen: Alle Rinder, die so lange durchhalten, enden im Schlachthaus.
Zum Glück gibt es Menschen wie dich, die das nicht unterstützen möchten. Oder Menschen wie Kuhflüsterer Joar Berge und Ex-Milchbauer Jürgen Rademacher, die mit ihren Lebenshöfen Kühen ein sicheres Zuhause geben. In einem Interview haben sie uns erzählt, warum sie vegan wurden, und geben Tipps für den Einstieg.
Mehr Unterstützung bei deinem Einstieg in ein veganes und milchproduktfreies Leben bietet dir unsere #PlantMilkWeek.
Quellen
[1] Pressemitteilung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) vom 12.04.2024: Milchbilanz: Erneut weniger Milch, Käse und Butter verbraucht.
[2] Statista: Absatzentwicklung von Milchprodukten (Weiße Linie) 2023.
[3] Marino, L. und Allen, K.: The psychology of cows, in: Animal Behavior and Cognition, 4(4), 2017, S. 474-498.
[4] § 10 Absatz 1 TierSchNutztV.
[5] § 5 Absatz 3 Satz 2 TierSchG
[6] ZDF heute: Das Schicksal der Milchkuhkälber, 31.03.2023, https://zdfheute-stories-scroll.zdf.de/Nachwuchs_Milchindustrie_Kalb/index.html [abgerufen: August 2023].
[7] Statistisches Bundesamt: Fachserie 3 Heft 6 – Wirtschaftsdünger, Stallhaltung, Weidehaltung, August 2021.
[8] Albert-Schweitzer-Stiftung: Was ist Massentierhaltung? – Milchkühe, https://albert-schweitzer-stiftung.de/massentierhaltung/milchkuehe [abgerufen: August 2023].
[9] Statista: Milchleistung je Kuh in Deutschland in den Jahren 1900 bis 2022, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/153061/umfrage/durchschnittlicher-milchertrag-je-kuh-in-deutschland-seit-2000 [abgerufen: August 2023].
[10] Bundesinformationszentrum Landwirtschaft: Landwirtschaft in Zahlen – 27 Liter Milch gibt eine Kuh am Tag, https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-verstehen/haetten-sies-gewusst/landwirtschaft-in-zahlen/27-liter-milch-gibt-eine-kuh-am-tag [abgerufen: August 2023].
[11] Universität Bern: Mastitis, https://www.gesunderinder.unibe.ch/milchkuehe/problemorientiertes_vorgehen/mastitis/#pane876012 [abgerufen: August 2023].
[12] Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung: Definitionen und Begriffe – Milch und Milcherzeugnisse, Januar 2021, S. 48.
[13] Landeskontrollverband Schleswig-Holstein e.V.: Milchgüteuntersuchung, https://www.lkv-sh.de/labor/untersuchungen/milchinhaltsstoffe [abgerufen: August 2023].
[14] § 32 Absatz 3 RohmilchGütV.
[15] John Webster: Animal Welfare: Limping Towards Eden. Oxford 2005.
[16] Statistisches Bundesamt (Destatis), 2023. Berücksichtig wurden Kühe, Kälber und weibliche Rinder sowie alle Schlachtarten.
[17] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Tierschutzbericht der Bundesregierung, 2015, S. 72; siehe auch: Michael Marahrens in Jost Maurin: „Die meisten Tiere leiden zu viel“, in: taz, 23.05.2017, https://taz.de/Tiermediziner-ueber-das-Schlachten/!5411010/ [abgerufen: August 2023].