Hochverarbeitete Lebensmittel haben den Ruf, ungesund zu sein. Auch vegane Alternativprodukte geraten dabei in den Fokus. Im Zentrum der Kritik steht der Verarbeitungsgrad. Warum der per se nichts darüber aussagt, ob ein Lebensmittel gesund oder ungesund ist, zeigt die Wissenschaft. Und worauf es wirklich ankommt, um pflanzliche Produkte in puncto Gesundheit zu bewerten, verrät uns Ernährungswissenschaftler Dr. Markus Keller.
Studien deuten darauf hin, dass bestimmte hochverarbeitete Lebensmittel die Entstehung von Typ-2-Diabetes, Adipositas, Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen fördern und sich negativ auf die Darmgesundheit auswirken können. Das führt immer wieder zu Schlagzeilen und Debatten darüber, ob pflanzliche Alternativprodukte, insbesondere Fleischalternativen, ungesund sind. Das Problem dabei: Einige der Studien werden missverstanden, vieles wird verallgemeinert und noch mehr gerät durcheinander. Machen wir also den Faktencheck.
Inhalt
Vor- und Nachteile verarbeiteter Lebensmittel
Was sind hochverarbeitete Lebensmittel?
Sind stark verarbeitete Lebensmittel ungesund?
Sind vegane Alternativen ungesund?
Expertentipps von Dr. Markus Keller – darauf kannst du bei der Produktwahl achten
Warum vegane Fleischalternativen wichtig sind
Vor- und Nachteile verarbeiteter Lebensmittel
Egal, ob in der eigenen Küche oder im industriellen Stil: Lebensmittel zu verarbeiten ist an sich nichts Schlechtes – im Gegenteil. Nahrungsmittel werden so länger haltbar und können besser gelagert werden. Zum Beispiel gekochte Bohnen in der Dose. Oder tiefgekühlte Beeren. Andere Lebensmittel werden durch Verarbeitung überhaupt erst genießbar, beispielsweise Hülsenfrüchte wie Bohnen oder Kichererbsen, die vor dem Verzehr gegart werden sollten. Und manche Nährstoffe werden für uns nur oder besser verfügbar, weil wir Lebensmittel verarbeiten. So wird das Antioxidans Lycopin in der Tomate durch Garen deutlich besser verfügbar als in der rohen Tomate.1 Wieder andere Lebensmittel werden während der Verarbeitungsprozesse angereichert, um die Versorgung mit essenziellen Nährstoffen zu verbessern, zum Beispiel mit Jod oder Vitamin B12.
Lebensmittelverarbeitung kann aber auch Nachteile haben: Manche Vitamine sind hitzeempfindlich oder wasserlöslich.1 Hohe Mengen an Salz oder Zucker können zwar die Haltbarkeit eines Lebensmittels verlängern, aber ungesund für uns werden, wenn wir zu viel davon aufnehmen. Und manche Verarbeitungsprozesse können den Ballaststoffgehalt verringern.
Die Verarbeitung von Lebensmitteln kann also grundsätzlich ernährungsphysiologische Vor- und auch Nachteile haben.
Was sind hochverarbeitete Lebensmittel?
Um es vorwegzunehmen: Eine einheitliche Definition von hochverarbeiteten Lebensmitteln gibt es nicht. Genauso wenig ist sich die Wissenschaft darüber einig, welche Kriterien sich am besten eignen, um Lebensmittel nach Verarbeitungsgraden zu kategorisieren. Die am häufigsten verwendete Definition wird aus dem sogenannten NOVA-System abgeleitet.2 Das Ziel dieses Systems ist es, Lebensmittel nach Umfang und Zweck der industriellen Verarbeitung einzuteilen. Dabei berücksichtigt es auch die Verwendung bestimmter Zutaten oder die Gesamtzahl der Zutaten, die in einem Produkt enthalten sind.3
Kategorien des NOVA-Systems
Das NOVA-System unterteilt Lebensmittel in vier Gruppen: Unverarbeitete oder minimal verarbeitete Lebensmittel umfasst Produkte wie frisches und gefrorenes Obst und Gemüse, unverarbeitetes Fleisch oder tierische Milch. Die Kategorie „Verarbeitete Zutaten“ enthält Lebensmittel, die gepresst, raffiniert, gemahlen, gemahlen oder getrocknet wurden, zum Beispiel Pflanzenöle oder Butter. Die dritte Gruppe heißt „Verarbeitete Lebensmittel“, darunter fallen geräuchertes Fleisch, Konserven oder Käse.
Und dann wären da noch die „Hochverarbeiteten Lebensmittel“. Laut NOVA-System zeichnen sich Produkte dieser Kategorie unter anderem durch umfangreiche industrielle Verarbeitung, zahlreiche Zutaten, Zusatzstoffe oder die Art der Verpackung aus.4 Beispiele für diese Gruppe sind verzehrfertige Produkte wie Gebäck, Kuchen, Schokolade und Kekse, Fertiggerichte, Wurst oder Burger – aber beispielsweise sogar Vollkornbrot oder Babynahrung.
Kritik am NOVA-System
Von Forschung und Expert:innen wird das System für einige Ungereimtheiten kritisiert, zum Beispiel dafür, dass die Kategorien nicht klar definiert sind. Das führt zu irritierenden Widersprüchen innerhalb des Systems. Ein gutes Beispiel von vielen ist tierischer Joghurt: Das NOVA-System ordnet ihn der Gruppe 1 zu, also den unverarbeiteten bzw. minimal verarbeiteten Lebensmitteln. Gleichzeitig ist innerhalb des Systems definiert, dass die Milchsäuregärung – die auch bei der Herstellung von Joghurt stattfindet – ein Kriterium für ein verarbeitetes Lebensmittel ist. Bestandteile wie Kasein, Laktose oder Molke, die meist allesamt in Joghurt vorkommen, sind laut Nova-System sogar ausschließlich in hochverarbeiteten Lebensmitteln zu finden.5 🤯 Die Kriterien, nach denen das NOVA-System Lebensmittel kategorisiert, sind also nicht immer stimmig und daher auch viel diskutiert.
Hinzu kommt, dass die vier Gruppen jeweils grundverschiedene Arten von Lebensmitteln zusammenfassen, die in ihrem Nährstoffgehalt sehr unterschiedlich zu bewerten sind: So ist Vollkornbrot beispielsweise Seite an Seite mit Tütensuppen in Kategorie 4 anzutreffen. Das führt zu problematischen Verallgemeinerungen. Viele Wissenschaftler:innen betonen, dass das NOVA-System nicht dafür geeignet ist, Lebensmittel nach ihrem ernährungsphysiologischen Nutzen – wie Nährstoffgehalt und gesundheitliche Wirkung – zu bewerten. 6 7
Sind stark verarbeitete Lebensmittel ungesund?
Um es auf den Punkt zu bringen: Es gibt hochverarbeitete Lebensmittel, die sich aufgrund bestimmter Eigenschaften negativ auf unsere Gesundheit auswirken können. Und es gibt hochverarbeitete Lebensmittel, die einen positiven Beitrag zu unserer Nährstoffversorgung leisten können. Und es gibt vieles dazwischen.
Die Frage, wie (un-)gesund hochverarbeitete Lebensmittel sind, kann also nicht pauschal beantwortet werden. Schon gar nicht mithilfe des NOVA-Systems. Trotzdem: Der Begriff „hochverarbeitete Lebensmittel“ wurde in den letzten Jahren in Studien wie Medien fast ausschließlich für Lebensmittel mit hohem Fett-, Zucker- und Salzgehalt verwendet – obwohl die nur einen Teil einer großen und vielschichtigen Gruppe von Lebensmitteln ausmachen, die als hochverarbeitet gelten.7 Und das hat zu Unsicherheiten und Missverständnissen geführt. Was sagen also die Fakten?
Den übermäßigen Verzehr von bestimmten hochverarbeiteten Lebensmitteln haben Studien mit Übergewicht, einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck und bestimmten Krebsarten sowie mit negativen Auswirkungen auf die Darmgesundheit in Verbindung gebracht.8 Verantwortlich dafür ist insbesondere ein hoher Gehalt an gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz, zum Beispiel in Fleisch- und Käseprodukten. Das Risiko, an bestimmten Krebsarten zu erkranken, erhöht sich vor allem durch den Verzehr von verarbeitetem Fleisch, also zum Beispiel Wurst.9
Andere Lebensmittel, die als hochverarbeitet gelten, wie Vollkornbrot, können aufgrund ihres hohen Ballaststoffgehalts als Teil einer ausgewogenen Ernährung gesundheitsfördernd sein, so eine Studie.10
Sind vegane Alternativen ungesund?
Werfen wir einen Blick auf pflanzliche Alternativprodukte: Auch hier gibt es viele verschiedene Produkte, die ganz unterschiedlich zu bewerten sind – und die unserer Gesundheit zuliebe nach ihrem Nährstoffprofil beurteilt werden sollten:
Studien, die gezielt Unterschiede zwischen tierischen und pflanzlichen hochverarbeiteten Lebensmitteln untersuchen, ergeben, dass pflanzliche Alternativprodukte meist ein besseres Nährstoffprofil als tierische Pendants aufweisen: Sie enthalten im Durchschnitt meist weniger Kalorien, gesättigte Fettsäuren und Cholesterin sowie einen höheren Gehalt an Ballaststoffen, ungesättigten Fettsäuren sowie teilweise auch an bestimmten Vitaminen und Mineralstoffen.11 12 13 14 Untersuchungen weisen zudem darauf hin, dass Verarbeitungsprozesse die Bioverfügbarkeit von Nährstoffen in veganen Fleischalternativen erhöhen und die Proteinversorgung verbessern können.15
Expertentipps von Dr. Markus Keller – darauf kannst du bei der Produktwahl achten
Worauf kannst du nun aber selbst achten, wenn du dich beim Einkauf für die pflanzliche Alternative entscheidest? Wir haben Dr. Markus Keller gefragt, Leiter des Forschungsinstituts für pflanzenbasierte Ernährung in Gießen (IFPE). Er erklärt, welche Angaben auf den Verpackungen verlässlich Orientierung geben – und warum manche gängigen Tipps für Verbraucher:innen irreführend sind.
Falsche Fährte: Lange Zutatenlisten
„Lange Zutatenlisten per se sind kein Merkmal für ein ungesundes Produkt”, so Markus Keller. „Ein Tofu- oder Seitanwürstchen mit im Vergleich zum tierischen Original günstigerem Nährstoffprofil kann – zum Beispiel aufgrund von vielen eingesetzten Gewürzen und Kräutern – eine längere Zutatenliste aufweisen als ein Produkt, das wir eher als ungesund einstufen würden.“ Wichtig ist, was auf der Liste steht.
„Viele Menschen haben in diesem Kontext Bedenken aufgrund von Aroma- und Zusatzstoffen. Prinzipiell sind diese für eine vollwertige Ernährung nicht nötig. Da es sich aber um zugelassene Lebensmittelzutaten handelt, wurden sie seitens der Lebensmittelbehörden als unbedenklich eingestuft“, so Markus Keller weiter. „Und tatsächlich gibt es bisher praktisch keine Belege dafür, dass uns der Verzehr dieser Stoffe schadet. Wie die Vielzahl der Zusatzstoffe im Verbund wirkt, ist jedoch bislang unklar. Daher empfehlen wir im Rahmen einer pflanzenbasierten Vollwert-Ernährung, möglichst wenig Zusatzstoffe zu konsumieren.“
Salzzufuhr im Blick behalten
„Die Studienlage zeigt übereinstimmend, dass der durchschnittliche Gehalt an gesättigten Fettsäuren in pflanzlichen Fleisch- und Wurstalternativen deutlich niedriger ist als in tierischen Vergleichsprodukten“, betont Markus Keller. Also ein klarer Gesundheitsvorteil. Wenn es darum geht, pflanzliche Alternativen zu vergleichen, gilt natürlich trotzdem: Je niedriger der Anteil an gesättigten Fettsäuren, desto besser. Dasselbe gilt auch für Zucker – den Großteil davon nehmen wir über Süßigkeiten, Fruchtsäfte oder andere Getränke auf.16
Genauer sollten wir unseren Blick auch bei pflanzlichen Fleischalternativen auf den Salzgehalt richten, rät Markus Keller. Orientierung gibt die empfohlene maximale tägliche Zufuhrmenge – und die liegt bei insgesamt 6 g.17
Warum vegane Fleischalternativen wichtig sind
Apropos Fleischalternativen: Sie sind natürlich nicht dazu gedacht, eine Vollwertkost zu ersetzen, die reich an Hülsenfrüchten, Obst und Gemüse ist. Sie bieten Alternativen zu tierischen Produkten wie Burger, Hackfleisch, Wurst oder Schnitzel. Und damit sind sie ein ganz wesentliches Element der pflanzlichen Ernährungswende: Für Menschen, die ihren Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten reduzieren oder einstellen möchten, bieten sie eine Alternative, die ihnen die Umstellung erleichtert. Und sie können durchaus Teil einer ausgewogenen und gesunden veganen Ernährung sein.
- Sperr, Elisabeth: „Verarbeitungsgrad im Brennpunkt“, in: Die Ernährung, Vol. 46, 1/2022, S. 83–85. ↩︎
- Diana Behsnilian et. al.: 15. DGE-Ernährungsbericht. Einordnung von Lebensmitteln nach dem Verarbeitungsgrad und Bewertung gängiger Klassifizierungssysteme in der Ernährungsforschung, hrsg. v.: Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V., Februar 2023. ↩︎
- Rodrigo Rodrigues Petrus et. al.: „The NOVA classification system: A critical perspective in food science“, in: Trends in Food Science & Technology 116 (2021). ↩︎
- Carlos A. Monteiro et. al.: „Ultra-processed foods: what they are and how to identify them“, in: Public Health Nutrition, 22(5), 2019. ↩︎
- Véronique Braesco et al. „Ultra-processed foods: how functional is the NOVA system?“, in: European Journal of Clinical Nutrition 76 (2022). ↩︎
- Christopher J. Bryant: „Plant-based animal product alternatives are healthier and more environmentally sustainable than animal products“, in: Future Foods, Volume 6 (2022). ↩︎
- Jenny Chapmann: Processing the discourse over plant-based meat. Understanding nuance in the “ultra-processed food” debate to build acceptance and trust of plant-based meat, 2024. ↩︎
- UNC Global Food Research Program (2021). „Ultra-processed foods: A global threat to public health“, 2021. ↩︎
- Cancer Research UK: „Does eating processed and red meat cause cancer?“, Stand 2023. ↩︎
- Reynalda Cordova et. al.: „Consumption of ultra-processed foods and risk of multimorbidity of cancer and cardiometabolic diseases: a multinational cohort study“, in: The Lancet Europe Regional Health, 35 (2023). ↩︎
- Sara de las Heras-Delgado et. al.: „Are plant-based alternatives healthier? A two-dimensional evaluation from nutritional and processing standpoints“, in: Food Research International, 169 (2023). ↩︎
- Roberta Alessandrini et. al.: „Nutritional Quality of Plant-Based Meat Products Available in the UK: A Cross-Sectional Survey“, in: Nutrients, 13(12), 2021. ↩︎
- Gladys O. Latunde-Dada et. al.: „Content and Availability of Minerals in Plant-Based Burgers Compared with a Meat Burger“, in: Nutrients. 15(12), 2023. ↩︎
- Matthew Nagra et. al.: „Animal vs Plant-Based Meat: A Hearty Debate“, in: Canadian Journal of Cardiology, 40(7), 2024. ↩︎
- The Good Food Institute Europe: „Is plant-based meat ultra-processed“. ↩︎
- Bundeszentrum für Ernährung: Weniger Zucker, Fette und Salz. Hinweise zum Einkaufen. Stand 26.04.2021. ↩︎
- Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V.: Speisesalz. ↩︎