Die vegane Ernährung: Welche Nährstoffe braucht der Körper?

von Carina Wohlleben, Autorin und vegane Ernährungsberaterin

Egal ob mischköstlich, vegetarisch oder vegan: Die Ernährungsform allein sagt nichts darüber aus, wie gut oder schlecht sie unseren Körper mit Nährstoffen versorgt. Es kommt stattdessen auf die Ausgewogenheit an und das ist mit einer veganen Ernährung unter der Berücksichtigung weniger Rahmenbedingungen prima möglich.

Gibt es kritische Nährstoffe in der pflanzlichen Ernährung?

Ein paar Nährstoffe gelten in der veganen Ernährung als potenziell kritisch. Einige davon können wir problemlos über die Ernährung abdecken, bei anderen kann die Einnahme eines Nahrungsergänzungsmittels sehr sinnvoll sein.

Proteine

Unser Körper benötigt Proteine unter anderem für die Bildung von Muskeln und Knochen. Darüber hinaus sind sie für den Hormonhaushalt und die Bildung von Enzymen sehr wichtig. Man sagt, dass Proteine die Bausteine des Lebens sind.

Proteine sind glücklicherweise in sehr vielen pflanzlichen Lebensmitteln wie Hülsenfrüchten, Nüssen, Saaten und Vollkornprodukten enthalten.

Wichtig für unseren Körper ist auch die sogenannte Bioverfügbarkeit oder biologische Wertigkeit von Proteinen – also wie das Eiweiß aufgenommen und verwertet werden kann. Maßgeblich dafür sind die Aminosäuren, die ein Protein enthält. Aminosäuren sind die Bausteine von Proteinen. Insgesamt benötigt unser Körper 21 verschiedene Aminosäuren, die wir teilweise mit der Nahrung zuführen müssen (essenzielle Aminosäuren) und die unser Körper teilweise selbst herstellen kann.

Unterschiedliche Proteine enthalten mal mehr und mal weniger von bestimmten Aminosäuren. Um sicherzustellen, dass unser Körper mit allen essenziellen Aminosäuren optimal versorgt wird, sollten wir verschiedene Proteinquellen miteinander kombinieren: zum Beispiel Hülsenfrüchte mit Getreide. Die müssen nicht unbedingt alle in einer einzelnen Mahlzeit enthalten sein – die Aminosäuren können sich auch im Lauf des Tages ergänzen.

Calcium

Calcium ist der mengenmäßig wichtigste Mineralstoff im Körper. Es ist der Baustoff unserer Knochen und auch in den Zähnen enthalten. Darüber hinaus ist Calcium an der Blutgerinnung beteiligt, stabilisiert die Zellwände, ist für die Signalübermittlung in den Zellen und die Weiterleitung von Reizen im Nervensystem und in der Muskulatur verantwortlich

Um unseren Körper ausreichend mit Calcium zu versorgen, sollten wir zu calciumreichem Mineralwasser ( >400 mg/l) und mit Calcium angereicherten Pflanzendrinks greifen. Auch Nüsse und Saaten, insbesondere Sesam, sind sehr calciumreich. Übrigens sind auch Brennnesseln tolle Calcium-Lieferanten. Die jungen Triebe kann man prima in einen Smoothie geben.

Eisen

Eisen hat eine zentrale Bedeutung für den Sauerstofftransport im Blut, die Infektabwehr, die Energieversorgung in den Zellen und die Bildung von DNA. Menschen, die regelmäßig ihre Periode bekommen, haben übrigens einen höheren Eisenbedarf.

Eisen gehört zu den essenziellen Spurenelementen, was bedeutet, dass wir es mit der Nahrung aufnehmen müssen. Tolle pflanzliche Quellen sind Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen und Vollkornprodukte. Wenn wir sie mit Vitamin-C-haltigen Lebensmitteln kombinieren, kann das Eisen noch besser von unserem Körper aufgenommen werden.

Vitamin B12

Vitamin B12 ist im Körper an einer Vielzahl wichtiger Prozesse beteiligt – zum Beispiel an der Bildung roter Blutkörperchen und der Bildung von DNA (also unseres Erbguts) sowie an der Regeneration von Nervenfasern.

Vitamin B12 gilt wohl als der kritischste Nährstoff in einer veganen Ernährung und das hat einen Grund: In relevanten Mengen ist es ausschließlich in tierischen Produkten enthalten. Doch an dieser Stelle möchte ich hinzufügen, dass das auch daran liegt, dass viele der landwirtschaftlich genutzten Tiere mit Vitamin B12 angereichertes Futter bekommen. In der veganen Ernährung sind wir zwingend auf ein Vitamin-B12-haltiges Nahrungsergänzungsmittel angewiesen, wenn wir gesund bleiben möchten. Wir sparen uns den Weg über die Tiere also und nehmen das B12-Supplement direkt selbst.

Vitamin D

Eine der wohl wichtigsten Funktionen von Vitamin D ist, dass es für eine verbesserte Aufnahme von Calcium und Phosphat im Darm sorgt und deren Einbau in die Knochen fördert. Nicht umsonst ist eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung bei Kleinkindern ganz besonders wichtig. Doch auch Erwachsene sollten eine adäquate Versorgung sicherstellen – zum Beispiel, um Osteoporose vorzubeugen.

Vitamin D wird auch als das Sonnenvitamin bezeichnet. Nicht ohne Grund, denn 80 bis 90 Prozent davon werden über unsere Haut in Kombination mit Sonnenlicht gebildet. Um unseren Bedarf zu decken, sollten wir uns in den Sommermonaten regelmäßig leicht bekleidet im Freien aufhalten (achte dabei natürlich auf den für deinen Hauttyp passenden Sonnenschutz). Unser Körper kann Vitamin D gut speichern, und im Winter davon zehren.

Sind die Speicher jedoch nicht ausreichend gefüllt, kann es schnell zu einer Unterversorgung kommen. Deshalb ist es empfehlenswert, den Vitamin-D-Wert regelmäßig überprüfen zu lassen und bei Bedarf ein Vitamin D3-Präparat einzunehmen. Vitamin D2 wird vegan hergestellt, Vitamin D3-Produkte können allerdings aus Tieren gewonnen werden, achte also darauf, eine vegane Marke zu wählen.

Omega-3-Fettsäuren

Eine gute Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren schützt Studien zufolge vor Gefäßverkalkungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie können dazu beitragen, Bluthochdruck und den Cholesterinspiegel zu senken und wirken entzündungshemmend. Bei Neugeborenen ist eine gute Versorgung mit den mehrfach ungesättigten Fettsäuren wichtig für die Gehirnentwicklung und die Entwicklung des Sehvermögens.

Es gibt drei verschiedene Omega-3-Fettsäuren, die unser Körper benötigt: ALA (Alpha-Linolensäure), DHA (Docosahexaensäure) und EPA (Eicosapentaensäure). ALA ist in vielen pflanzlichen Lebensmitteln wie Rapsöl, Leinsamen und Walnüssen enthalten. ALA kann in unserem Körper zwar zu DHA und EPA umgewandelt werden, jedoch ist die Umwandlungsrate nicht besonders hoch und zudem sehr individuell. Um den täglichen Bedarf an DHA und EPA vollständig zu decken, macht die Einnahme eines Mikroalgenöls Sinn, in dem DHA und EPA enthalten ist.

Zink

Zink ist insbesondere für unseren Stoffwechsel von großer Bedeutung, denn es dient mindestens 300 Enzymen als sogenannter Kofaktor – es ist also für die Aktivität der Enzyme unerlässlich. Seine vermutlich bekannteste Funktion ist die Beteiligung an schützenden Prozessen des Immunsystems.

Zink ist ebenso wie Eisen in Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten, Nüssen und Saaten enthalten. Wenn wir zinkhaltige Lebensmittel mit fruchtsäurehaltigen Lebensmitteln kombinieren, verbessern wir die Aufnahme des Spurenelements. Am besten vermeiden wir es aber, Kaffee, Tee oder Kakao zu zinkreichen Mahlzeiten zu trinken – das kann die Aufnahme hemmen.

Jod

Jod ist ein Mineralstoff, der besonders für die Schilddrüse von großer Bedeutung ist. Denn Jod ist ein Baustein von Schilddrüsenhormonen, die wiederum an einer Vielzahl von Stoffwechselprozessen im Körper beteiligt sind.

Da die Böden in Deutschland jodarm sind, sind folglich auch die Pflanzen, die darauf wachsen jodarm. Um unseren Jodbedarf mit einer veganen Ernährung zu decken, können wir entweder zu Jodsalz greifen und zusätzlich täglich Noriflocken mit ausgewiesenem Jodgehalt in den Speiseplan integrieren. Oder wir nehmen stattdessen ein entsprechendes Nahrungsergänzungsmittel.

Selen

Das Spurenelement Selen ist Bestandteil verschiedener Enzyme und ein lebenswichtiger Nährstoff. Es spielt darüber hinaus eine wichtige Rolle bei der Synthese von Erbsubstanz und ist für die Bildung und Qualität von Spermien mitverantwortlich und ermöglicht eine gesunde Fruchtbarkeit.

Der Selengehalt der Pflanzen ist vom Selengehalt der Böden abhängig. Wie auch beim Jod sind die Böden in Deutschland selenarm und folglich auch die Pflanzen, die darauf wachsen. Als pflanzliche Selenquellen gelten Paranüsse, Linsen, Reis und Champignons. Jedoch kann der Selengehalt mitunter sehr stark schwanken. Um auf Nummer sicher zu gehen, können wir auch beim Selen zu einem entsprechenden Nahrungsergänzungsmittel greifen.

Die Vorteile der veganen Ernährung

Neben den Nährstoffen, die in einer veganen Ernährung potenziell kritisch sind, gibt es aber auch eine Vielzahl von Nährstoffen, die wir mit einer veganen Ernährung deutlich besser abdecken können als mit einer durchschnittlichen mischköstlichen Ernährung.

So ist die Ballaststoffzufuhr von Veganer:innen Studien zufolge mehr als doppelt so hoch wie die von Mischköstler:innen. Durch den hohen Anteil an Obst und Gemüse in der Ernährung werden zudem eine Vielzahleben sekundärer Pflanzenstoffe aufgenommen. Sekundäre Pflanzenstoffe sind Aroma-, Farb- und Duftstoffe in Pflanzen, denen eine gesundheitsfördernde Wirkung zugeschrieben wird. Mit Betacarotin, Vitamin E, Vitamin B1, Biotin, Folat, Pantothensäure und Vitamin C sind Veganer:innen sogar deutlich besser versorgt als Menschen, die sich mischköstlich ernähren.

Der Konsum tierischer Produkte hat ein Ausmaß erreicht, das schon lange nicht mehr gesund ist. Ganz im Gegenteil – wir sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo wir unserer Gesundheit massiv schaden. Das reicht von einem persönlich erhöhten Risiko, an verschiedenen Zivilisationskrankheiten zu erkranken, bis hin zu antibiotikasresistenten Keimen, Epidemien und Pandemien. Laut UN-Prognose werden bis zum Jahr 2050 Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen die Todesursache Nummer eins sein. Dabei ist insbesondere die Massentierhaltung ein großes Problem, denn hier werden tonnenweise Antibiotika zur Vorbeugung von Krankheiten eingesetzt und es entwickeln sich zunehmend Resistenzen. Pandemien und Epidemien, die auch in Zukunft eine große Belastung für unsere Gesellschaft und unser Gesundheitssystem darstellen werden, haben ihren Ursprung in vielen Fällen in der Tierhaltung bzw. dem Konsum von tierischen Produkten.

Da können die gesundheitlichen Vorteile einer veganen Ernährung sehr überzeugend sein: Wir nehmen weniger der als gesundheitskritisch geltenden gesättigten Fettsäuren auf und so gut wie kein Cholesterin – damit können wir beispielsweise das Risiko senken, an Bluthochdruck, verschiedenen Krebsarten und Diabetes Typ-2 zu erkranken.

Eine vollwertige vegane Ernährung, bei der wir die potenziell kritischen Nährstoffe berücksichtigen, kann also sowohl einen positiven Einfluss auf unsere individuelle Gesundheit als auch auf das Gesundheitssystem und unsere Gesellschaft haben.


Mehr zur veganen Ernährung und der richtigen Nährstoffversorgung erfahrt ihr in Carina Wohllebens Buch Ganz entspannt vegan – Warum ein Alltag ohne tierische Produkte erstaunlich einfach ist (Ludwig Verlag, ISBN: 978-3-453-28153-0)

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